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 INSIDE#5 

Aus der Region

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STRIKE

 Der Fall Sonthofen 

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Der Zaubertrank für einen aufrechten Arbeitskampf ist eine Mischung aus Gemeinschaft, Solidarität und Tradition

Der Streik bei Voith turbo in Sonthofen ist gerade durch Urabstimmung beendet worden. Nach dem die Schließung des Werks nicht mehr abzuwenden war, haben sich die IG Metall und Voith auf Kernpunkte für einen Sozialtarifvertrag geeinigt. In den letzten acht Monaten haben die Beschäftigten Schulter an Schulter zusammengestanden und viel Unterstützung von außen erhalten.

Wie erzeugt man in einer solchen Situation Solidarität und wie hält man sie aufrecht?

Wie und wer steuert die Kommunikation und hält den Arbeitskampf am Laufen?

 Ein Rückblick aus dem Maschinenraum des Streiks

 von Streikleiter Carlos Gil. 

Hallo Carlos, am Dienstag wurde der Streik durch die Urabstimmung beendet. Was sind die Ergebnisse des Sozialvertrags?

Uns ist aufgefallen, dass die Beschäftigten während des Streiks sehr viel Unterstützung von Außen erhalten haben! Wer hat euch wie geholfen und wie zeigt sich Solidarität überhaupt in Zeiten von Corona?

Die Solidarität ging wirklich quer durchs ganze Land und zeigte sich auf allen Ebenen! Sie reichte vom Süden, wo wir sind, bis hoch an die Küste! Sogar Landtagsabgeordnete haben sich an die Voith-Konzernleitung gewandt! Wir haben Kisten mit Getränken und Verpflegung bekommen. Wir haben unglaublich viele Anrufe und Nachrichten bekommen. Viele Menschen wollten hier her kommen und mitmachen.  Wir haben aber sehr darauf geachtet, dass nur kleine Delegationen ankommen. Denn wir wollten unbedingt corona-konform agieren. 

Die Beschäftigten sollen zusätzliche Abfindungsleistungen erhalten. Alle Auszubildenden können ihre Ausbildung bis zum Abschluss fortführen.  Insgesamt 167 Beschäftigte bekommen in einem neuen, tarifgebundenen Büro Allgäu für drei Jahre eine Beschäftigungssicherung.  Und alle Mitarbeiter, die kein Beschäftigungsangebot für das Büro Allgäu erhalten, werden Angebote für Beschäftigungen an anderen Standorten gemacht. Alternativ möchte Voith beim Wechsel zu anderen Unternehmen in der Region behilflich sein. Organisiert wird das alles über eine Transfergesellschaft. Außerdem wird von uns ein Härtefonds eingerichtet, aus dem von Arbeitslosigkeit Betroffene IG Metall-Mitglieder zusätzliche Abfindungen erhalten. Neben einem Sockelbetrag sind dies z.B. ältere Beschäftigte, Eltern und Alleinerziehende oder Beschäftigte mit pflegebedürftigen Angehörigen.

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Auch die Unterstützung der IG Metall als Gesamtorganisation war überwältigend. Das beginnt bei den bayerischen Geschäftsstellen, die uns bei der Streikleitung mit Man und Woman Power hier vor Ort super unterstützt haben. Kolleginnen und Kollegen von anderen Geschäftsstellen kamen tageweise oder für mehrere Tage vorbei, um die Streikposten zu begleiten. Wir wurden auch von Geschäftsstellen aus anderen Bezirken angeschrieben. Unser Erster Vorsitzender Jörg Hofmann stand mit uns in Kontakt und bezog ganz klar Position für unsere Sache.

Was sind die Ursachen für die massive Entrüstung und Solidarität?

 

Geht es vor allem um die Werkschließung?

 

Die Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke von Bündnis 90/Die Grünen hat geäußert:

 

Ein Standort, der produktiv ist und schwarze Zahlen schreibt – wie im Falle von Voith in Sonthofen – „darf nicht aufgegeben werden“.

Ja, die zunächst drohende und jetzt sichere Werkschließung stand und steht natürlich im Mittelpunkt! Das ist auch genau die Ursache, weswegen die Menschen hier acht Monaten lang gekämpft haben! Begonnen hat es mit der Behauptung des Managements, dass wir rote Zahlen schreiben und daher geschlossen werden müssen. Wir haben das dann überprüft und festgestellt, dass die Umsatz-Anforderungen des Managements durchaus erreicht werden. Das Management hat dann zwar den Irrtum zugegeben, aber weiterhin an der Schließung festgehalten.

 

Wir haben dann gemeinsam mit dem Gesamtbetriebsrat ein Alternativkonzept erstellt, dass alle Werke in Deutschland gesichert hätte. Weder Sonthofen noch Zschopau noch Mülheim müssten geschlossen werden! Wir haben allerdings kein Gehör gefunden. Dann ging es in die Einigungstelle, aber auch da wurden keine positiven Ergebnisse erzielt.  Das Interessante ist: Selbst Kunden von Voith haben geäußert, dass sie die Werkschließung nicht nachvollziehen können. 

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Carlos, was ist der Grund, weshalb du die Beschäftigten in der Streikphase oft als „Hüttenwerkler“ angesprochen hast und immer wieder der Begriff „Schmitte“ fiel?

500 Jahre Geschichte sind der Grund. Auf dem heutigen Betriebsgelände gab es seit mindestens 1532 eine Schmiede. Diese wurde dann noch im selben Jahrhundert zum „Bischöflich-Augsburgerischem Hüttenwerk Sonthofen“. Unter dem Namen „BHS“, der für  „Bayerische Berg-, Hütten- und Salzwerke AG“ steht, wurden hier ab 1932 Höchstleistungs-Getriebe produziert. Die Hütte entwickelte sich also über die Jahrhunderte zu einer High-Tech-Spezialistin für die Kraftübertragung bei Energieversorgern.

 Voith ist erst 2007 in’s Spiel gekommen  und hat Voith Turbo von einem PE-Investor erworben. Wer von heute auf auf diese Geschichte zurückblickt, wird traurig. Es geht hier auch um den Verlust von Identität.

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Was habt ihr im Vorfeld unternommen, um die Kommunikation zu gestalten?

Wie ist die Solidarität aller organisiert worden – gerade unter den Vorzeichen von Corona?

Im März hatten wir den letzten Warnstreik und uns standen die Urabstimmung und eventuell der Arbeitskampf bevor. In dieser Situation ist uns sofort bewusst geworden, dass die Gesundheit der Menschen vorrangig sein muss. Und es war ja auch wichtig, dass die Behörden uns dort, wo es notwendig ist, den Weg freigeben können.

Daraufhin haben wir über soziale Netzwerke einen Kanal für die interne Kommunikation geschaffen, der jede(n) Streikende(n) erreicht. Man muss sich das als eine Art elektronischen Tannenbaum vorstellen, der gewährleistet, dass die Informationen von der Spitze bis in die letzte Verzweigungen hinein verlustfrei ankommen. Es gibt auch einen E-Mail Verteiler, in dem alle Beteiligten enthalten sind und mit dem wir die Streikenden sehr gut erreichen konnten.

Darüber hinaus haben wir einen Kommunikationskanal geschaffen, der die Öffentlichkeit adressieren sollte. Nämlich unseren Youtube-Kanal „IG Metall Allgäu on Air – Voith Special“. Dort habe ich über den Streik berichtet, zu aktuellen Entwicklungen Stellung genommen und auch ganz direkt das Management angesprochen. Da haben natürlich auch alle Streikenden und Sonthofener mitgehört.

 Wir haben in unserem Backoffice in der Geschäftsstelle Menschen, die sehr hart beinahe rund um die Uhr gearbeitet haben, damit diese Kommunikationsarchitektur steht.

 

Da steckte viel Engagement drin.

Hast du praktische Tipps für andere, die in eine ähnliche Situation kommen und einen Arbeitskampf organisieren müssen?

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Es ist wichtig, mit allen Beteiligten im Gespräch zu bleiben. Und man muss ihnen die Möglichkeit geben, etwas tun zu können. Wir haben zwei bis dreimal die Woche vor dem Werk corona-konforme Aktionen durchgeführt. Beispielsweise unseren Auto-Knödel, bei dem wir anstelle von Menschen PKWs vor den Toren platziert haben.

 

Oder unsere Installation „Brücke der Solidarität“, mit der wir zeigen wollten, dass wir nicht nur 500 Zahlen sind, sondern Menschen, die Gesichter und Familien haben. Für alle Betroffenen haben wir also Möglichkeiten geschaffen, sich aktiv am Arbeitskampf zu beteiligen.

 

Es ist wichtig, den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie sich auf uns verlassen können und dass wir das, was wir sagen, ernst meinen.

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Kann die Bildung in irgendeiner Form auf solche Konflikte vorbereiten?

Ja – das kann sie und tut sie. Ich finde, dass die IG Metall uns Hauptamtliche sehr gut auf solche Situationen vorbereitet. Ich glaube, dass die Bausteine „Kommunikation“ und „Organisationsentwicklung“ wichtig sind – und immer wichtiger werden. Vielleicht könnte man darüber nachdenken, den Arbeitskampf-Ordner in diesen Punkten noch etwas zu erweitern. Welche Stellschrauben haben wir? Worauf ist besonders zu achten?

 

 Die zielsichere und routinierte Positionierung ist letztlich extrem entscheidend.  Meiner Ansicht nach ist die Bildung bei der IG Metall diesbezüglich aber ohnehin schon sehr gut aufgestellt.

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Wie lautet dein persönliches Fazit oder „Learning“, wenn du auf die letzten acht Monate zurückblickst?

Das ist momentan noch schwer zu ordnen und zu sagen! Da schlagen so viele Herzen in meiner Brust (lacht)!! Ich versuche mich mal zurückhaltend zu äußern: Ich würde mir von der Politik wünschen, dass sie sich den Arbeitskampf mal anschaut und überlegt, ob es nicht gesetzliche Mechanismen geben sollte, die in solchen Fällen eingreifen können. Sie sollte sich auch die Frage stellen, ob es nicht in der betrieblichen Mitbestimmung noch Nachholbedarf gibt. Schließlich hatten wir hier ein funktionierendes Werk – das jetzt schließen wird! Das macht die Menschen hier vor Ort sehr traurig!

Ansonsten muss ich im Rückblick bewundernd feststellen: Die Streikkultur hier war getragen von Stolz, Ehrlichkeit sowie von Hoffnung und Mut. Besonders imponiert hat mir, das die Sonthofener auch nach dem Scheitern der Einigungsstelle und der somit feststehenden Werkschließung weitergekämpft haben. Und letztlich hat genau dieses enge Zusammenstehen zu guten Ergebnissen in Bezug auf den Sozialplan und den Sozialtarifvertrag geführt. Das finanzielle Volumen des Gesamtpakets ist ja letztlich schon sehr gut. Uns war ja auch wichtig, dass die Strecke der Transfergesellschaft möglichst lang geht und wir haben jetzt bis zu 18 Monate vereinbaren können.

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 Zum Interviewpartner:  

Carlos Gil ist Streikleiter und 2. Bevollmächtigter

der IG Metall Allgäu.

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